Kucki-Grand

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Hamburger Nachrichten” vom 02. und 08.09.1905,
in: „Indiana Tribüne” vom 13.10.1905,
in: „Greifswalder Tageblatt, Beilage vom 02.12.1906


Auf der Gartenveranda des Kasinos wurde der übliche Verdauungsskat geklopft. Um die Viertel mit Aufschreiben. Höher erlaubte es der Kasinoälteste nicht. Er meinte, daß auch bei diesem niedrigen Satze schon hinreichend Krach gemacht würde — und außerdem bestände für das Offizierkorps keine Verpflichtung, die irdischen Güter des Leutnants von Lucks in's Ungemessene zu bereichern.

„Sechsundfünfzig — neunundfünfzig — einundsechzig — rrrrrrum —!”

An dem Tische, an dem Enno Lucks, der berüchtigte „Räuber”, thätig war, erhob sich ein Triumphgeheul.

„Lucks hat einen Kucki-Grand umgeschmissen!”

„Einen mit vieren —”

„Das macht hundertundzwanzig auf die Badehosen!”

„Dadurch kommt er mit minus drei in den Keller —”

„Das letzte Spiel der letzten Runde, das er angeblich nie verliert!”

„Endlich haben wir den Kerl einmal gewürgt!”

Leutnant von Biedenkorn trommelte in hellem Entzücken mit beiden Fäusten auf den Tisch, und auch der andere Partner, der sonst so gesetzte Oberleutnant Schallehn, hüpfte auf seinem Stuhle wie ein Kind, das unvermuthet Kandiszucker bekommt.

Schnell sammelte sich um den Tisch eine ganze Korona und jauchzte mit. Selbst der Etatmäßige —

„Na, Lucks,” schmunzelte der alte Herr, „hat man Sie auch mal beim Kamisol? Sehen Sie, wie es sich freut, das entmenschte Paar!”

Leutnant von Lucks verharrte schweigend und unbewegt. Erst auf die Anrede des Vorgesetzten stieß er seine Stichkarten zusammen und schob sie mit einer grandiosen Geste in den Uniformkragen.

„Die Herren locken zu früh froh, Herr Oberstleutnant,” sagte er in seinem breiten holsteinischen Dialekt. „Sind nämlich 'n büschen schwach im Kopfrechnen.”

„Sie wollen doch nicht behaupten —”

„Ich behaupte nichts, meine Herren. Sie behaupten!”

„Da hört aber alles auf! Zählen Sie doch nach!”

„Das brauche ich nicht. Arme Leute zählen —”

Unter allgemeiner Betheiligung wurden die Points der Gegenpartei noch einmal nachgerechnet.

„Achtundvierzig — neun — und — fünfzig . . . wahrhaftigen Gott, blos neunundfünfzig!” konstatirte Oberleutnant Schallehn.

„Es werden nicht mehr!”

„Was haben Sie denn vorhin gezählt, Biedenkorn!”

„Die Gehässigkeit hat ihn blind gemacht,” warf Enno Lucks trocken ein.

„Hat der Mensch wirklich wieder gewonnen — und solch ein pflaumenweiches Spiel!”

„Ich habe Ihnen gesagt, meine Herren, daß ich das letzte Spiel immer gewinne. Außerdem brauche ich noch einiges Geld für meine Urlaubsreise. Zur Kasse, wenn ich bitten darf.”

Nach der Abrechnung verließ Oberleutnant Schallehn die ungastliche Stätte. Die beiden anderen blieben noch sitzen.

„Na, Biedenkorn — was wollen Sie trinken für die sieben Groschen, die ich gewonnen habe?”

Der Angeredete, der nachdenklich aus dem Protokoll eine Tüte gedreht, schüttelte den Kopf.

„Es ist nicht zu glauben, was Sie für ein Glück haben, Menschenkind. Wie machen Sie das! Ich versteh's nicht —”

„Sagen Sie anstatt Glück Kourage — und Sie haben den Stein der Weisen.”

Leutnant von Biedenkorn schüttelte noch tiefsinniger den Kopf.

„Im Spiel mag das gelten, Lucks. Aber davon rede ich nicht. Auch sonst haben Sie mehr Glück wie Ferdinand. Sie erwähnten vorhin Ihre Urlaubsreise. Während ich mit zwei ärztlichen Attesten dem Alten knapp zehn Tage habe abringen können, bekommen Sie glatt dreiundzwanzig — mehr als drei Wochen. Das ist doch nicht Kourage —”

„Selbstverständlich ist's das. Das ist gemau so ein Kucki-Grand, wie ich ihn vorhin gewonnen habe. Sehen Sie, mein Lieber — das Leben muß wie ein großer Skat genommen werden. Wer sich immer übertourniren läßt, wird kein Spiel machen und es nie zu was bringen. Als ich mit unserem Herrn Oberst von Rauscher wegen des Urlaubs verhandelte, stand die Partie sehr schlecht für mich. Jeder andere hätte gepaßt. Er hatte alle Atouts in der Hand und ich eigentlich nur Fohsen — denn es war schon das dritte Mal in diesem Jahre, daß ich wegen Urlaub einkam. In solchen verzweifelten Fällen pflege ich auf's Ganze zu gehen und Kucki-Grand zu spielen —”

„— den man gewinnen, aber auch umschmeißen kann.”

„Sehr richtig, bemerkte der Igel. Im letzteren Falle zählt der Verlust sogar doppelt. Aber das muß man eben mit in Kauf nehmen. Wenn kein Risiko damit verbunden wäre, würde ja das Kuckimachen epidemisch werden. Na, kurz — wissen Sie, was ich in dem Partiechen mit dem Alten im Skat gefunden habe —? Erstens eine sehr gute Idee und zweitens Asta Rauscher —”

„Aber die ist doch nicht hier! Der Oberst hat seine Tochter auf ein Jahr fortgeschickt — und zwar Ihretwegen, wie man sagte.”

„Ich habe sogar durch Handschlag an Eidesstatt versichern müssen, daß wir uns in dieser Zeit weder sehen, noch korrespondiren. Trotzdem werden wir uns heirathen — eventuell auch mit Hilfe eines Kucki-Grand. Doch das nur nebenbei. Im vorliegenden Falle erkundigte ich mich nach Astas Befinden, was mir erlaubt ist, und ließ durchblicken, daß in diesen Tagen die Prüfungszeit zu Ende sei. Da hat er zunächst wie üblich getobt. Er meinte, Asta sei immer noch zu junge und ich immer noch zu windig — na und was sonst einsichtslose Papas in solcher Lage zu sagen pflegen. Als ich ihm dann mein Urlaubsgesuch vortrug, war er Fett und Feuer dafür. Sechs Monate wollte er mir geben . . .”

„Lucks! Und das haben Sie nicht —”

„Denke ja garnicht daran. Ich habe bescheiden darauf hingewiesen, daß ich ein viel zu leidenschaftlicher Soldat sei, um mich für ein halbes Jahr dem Königlichen Dienste zu entziehen. Ich bäte nur um acht Tage —”

„Mensch!” heulte Biedenkorn auf, indem er sich in die Haare fuhr.

„Nur acht Tage. Ich würde ja gern, fügte ich hinzu, zu meiner Erholung eine Nordlandreise machen, die dreiundzwanzig Tage dauere — dazu aber fehlten mir leider die Mittel. In der nächsten Minute mimte der Oberst den treuherzigen älteren Kameraden und legte eine braune Hose auf den Tisch des Hauses. Es wäre ihm eine Freude und ein Vergnügen — ubd ob ich nicht lieber nach Westindien fahren wolle — die Reise dauere sechsunddreißig Tage. Wenn ich jedoch auf dem Nordkap bestände, dann möchte ich mich dort durchaus nicht beeilen — er würde mir jederzeit gern Nachurlaub bewilligen.”

„Da haben Sie also zu den dreiundzwanzig Tagen noch tausend Mark —?”

„Allerdings. Betrachte ich als Vorschuß auf die Mitgift.”

„So ist unsere Verabredung in's Riesengebirge natürlich hinfällig —”

„Durchaus nicht.”

„Aber Sie gehen doch nach Norwegen, Mensch!”

„Denke ich gar nicht daran. Ich gehe mit Ihnen in's Riesengebirge. Dazu habe ich meine besonderen Gründe.”

„Lucks — Sie sind das frechste Individuum, das mir jemals vorgekommen ist. Aber versuchen Sie die Götter nicht. Die Welt ist ein Dorf. Wenn Sie gesehen werden —”

„Dann spiele ich Kucki-Grand.”

*           *           *

Es gibt nichts Gemüthlicheres als einen Sommerabend auf einer Baude im Riesengebirge. Nach den anstrengenden Tageswanderungen finden die Touristen sich hier zusammen und pflegen der Erholung. Ein guter Trunk frischt die erschlafften Lebensgeister alsbald auf. Leute, die sich nie vorher gesehen und vielleicht schon am nächsten Morgen auf Nimmerwiedersehen sich trennen, sitzen beieinander, als wäre das alle Zeit so gewesen und würde nun immer so sein.

Auch die Nachzügler — mit ausgelassenen Zurufen empfangen — finden sich schnell in die Fidelitas — — es sei denn, daß ihre Frage nach einem Quartier für die Nacht einem bedauerndem Achselzucken begegnet und sie nach kurzer Rast mürrisch noch ein paar Stunden weiterwandern müssen, um wo anders ihr Heil zu versuchen.

In der Schlingelbaude ging es hoch her. Das Restaurant war überfüllt — dennoch begnügte sich jeder mit dem vorhandenen Raume und freute sich der Unterkunft.

Die Leutnants von Biedenkorn und von Lucks hatten die beiden Pseudotiroler von ihrem Podium gedrängt und konzertirten, daß es eine Lust war. Biedenkorn spielte virtuos die Zither. Enno Lucks sang und begleitete zur Guitarre. Das Publikum applaudirte rasend, und die zünftigen Baudensänger hatten nichts weiter zu thun, als das Geld einzukassiren, das die Stadtkollegen ihnen verdienten.

Plötzlich unterlief Herrn von Biedenkorn in einem Präludium ein schriller Mißton.

„Um Gotteswillen, Lucks — —”

„Was ist denn los, edler Mitbarde. Sie haben sich eben schauderhaft vergriffen!”

„Still! Drücken Sie sich so schnell Sie können! Der Oberst ist eben eingetreten — mit Fräulein Asta —”

„Wo —”

„Na drüben — zum Donnerwetter! Sehen Sie denn nicht, Unglücksmensch? Er zankt mit dem Wirth — wahrscheinlich weil kein Zimmer mehr frei ist. Jetzt läßt er sich nieder. Aber so verschwinden Sie doch!”

„Zu spät — Du rettest den Freund nicht mehr. Er hat schon sein Glas eingeklemmt und äugt — — also Kucki-Grand! Ein paar Takte Schnadahüpfel, wenn ich bitten darf.

— Meine Herrschaften!” wandte er sich mit Stentorstimme an das Pubklikum. „Jetzt kommt die Ballade vom Pech!”

Jubelnde Zustimmung allerseits — bis auf einen alten Herrn, der durch sein Monocle wie ein Narr schaute, und ein junges Mädchen, dem freusige Ueberraschung und Angst gleichermaßen den Athem versetzten. Der Sänger rasch in die Saiten fiel und begann sie mächtig zu schlagen . . .

In lustigen G'stanzeln, denen das Auditorium zuerst begriffsstutzig, dann aber mit wachsendem Verständniß folgte, besang er sein Pech. In den Zügen des alten Oberst kämpften Gewitter und Sonnenschein. Nach und nach aber schwanden die Wolken. Immer rascher und aufgeräumter strich er seinen weißen Schnurrbart — und schließlich fiel er mit herzlichem Lachen in den brausenden Chor der Heiterkeit ein, als das Chanson mit folgenden Strophen schloß:

Doch der Schlingel, der dalkete, fallt nix herein,
Dieweil ma ja grad auf der Schlingelbaud sein.
Holdrio —!
Und wenn's a gut End gibt, da kommt er zum Lohn
Mit den zwei blauen Augerln seiner Liebsten davon.
Holdrio —!

Und so kam es. — Asta träumte längst einem glückseligen Morgen entgegen, als der Oberst immer noch eine letzte Runde ansagte. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß sein Schwiegersohn doch wenigstens einmal das letzte Spiel verlieren müsse. Aber das war nicht zu machen — er gewann immer — — durch Kucki-Grand.

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